An Tag 4 der Mini-Alpenüberquerung wurden wir von den Wirtsleuten der Tribulaunhütte sehr freundlich verabschiedet. Ich habe mir leider nicht notiert, wann wir an diesem Tag losgewandert sind, aber ich schätze, er war lang. Der Plan sah wie folgt aus: Durch ein Geröllfeld hinauf zur Schneetalscharte (2.646 m), dann ganz hinunter ins Tal nach St. Anton und von dort am Bach entlang nach Sterzing. Mir graute etwas vor dem langen Abstieg und den vielen Kilometern im Tal, aber sonst war ich guter Dinge. Nicht zu recht, wie sich zeigen sollte. Aber erst einmal zu den Basisdaten des Tages:
Ausgangshöhe: 2.064 Meter
Zielhöhe: 948 Meter
Höchster Punkt: 2.646 Meter
Tiefster Punkt: 948 Meter
Höhenunterschied: 799 Hm auf, 1.915 Hm ab
Strecke: 24,2 Km
Bis zur Schneetalscharte lief es wie erwartet etwas mäßig. Nach einem kurzen netten Steig kam Geröll, Geröll und nochmal Geröll. Wir kämpften uns so durch und kamen schnaufend und verschwitzt oben an. Zwischendurch passierte aber noch etwas entscheidendes: Große Markierungen mit Buchstabenkürzeln zeigten eine Abzweigung im Geröllfeld. Eigentlich war klar, dass wir uns nach links orientieren müssen. Diese Abzweigung hatten wir aber gerade verpasst und auf der Karte sah es so aus, als könnte man auch rechts gehen. Also gingen wir rechts.
Oben angekommen war die Stimmung schon nicht so grandios. 2.600 Meter Höhe spürt man. Außerdem sahen die Alternativen für den Weiterweg irgendwie nicht so furchtbar rosig aus: Nach rechts ging es hinauf zum Gschnitzer Tribulaun, da wollten wir nicht hin. Nach links deutete sich eine markierte Seilsicherung an, die nach Klettersteig aussah (das wäre der richtige Weg gewesen). Geradeaus ging eine steile, geröllige, unmarkierte Scharte. Weiter unten konnte man den Weg erahnen. Nach einer kurzen Beratung mit anderen Wanderern kamen wir zu dem Schluss, dass wir früher hätten links gehen sollen (richtig), dass der Klettersteig zu gefährlich ist ohne Sicherung (keine Ahnung, dazu hätte man einfach mal reinsteigen müssen) und dass es dadurch am vernünftigsten ist, durch die Scharte abzusteigen (falsch).
Der unschuldig wirkende Einstieg in die Scharte
Mir machte diese Scharte von Anfang an ziemliche Bauchschmerzen, deswegen wollte ich nicht mehr warten und direkt einsteigen (ich weiß…). Da ich Sorge wegen Steinschlag hatte (wir hatten ja keine Helme dabei) schlug ich vor, mit Guido vorzugehen, die anderen sollten folgen, wenn wir unten ums Eck waren. Schon auf den ersten Metern wurde klar, dass die Scharte wirklich verdammt steil war. So steil, dass man eigentlich nur hinunterrutschen konnte. Da ich nur Shorts anhatte, zog ich eine Regenhose über (eine sehr weise Entscheidung). Wir rutschten also eine Weile, was ganz gut ging. Aber dann kamen wir an eine Stufe, die von oben nicht zu sehen gewesen war. Und die war ganz schön hoch. Ich kann recht gut klettern, aber nicht mit Rucksack (das hasse ich, siehe diverse Klettersteig-Erlebnisse). Daher kam ich auf die grandiose Idee, meinen Rucksack die Stufe hinunter zu werfen und hinterher zu klettern. Natürlich fiel der Rucksack nicht nur die Stufe hinunter, sondern hüpfte weitere ca. 50 Meter von Fels zu Fels nach unten. Handy in der Außentasche und so. Ach ja, der Rucksack war auch neu. In dem Moment war mir das aber herzlich egal, ich war froh, einfach klettern zu können. Trotzdem wechselte ich an der nächsten Stufe (denn die kam und war noch größer) die Strategie und reichte Guido den Rucksack hinunter. An dieser Stelle muss ich mal eine Lanze für die Firma Deuter brechen: Der Rucksack hat alles überlebt. Er hat nur ein winziges Loch. Das Handy lebte auch noch, sogar der Akku funktionierte danach wieder besser (?).
Ich will der Scharte hier nun nicht mehr Raum geben als möglich. Wir kamen da irgendwie durch, Guido und ich waren ein gutes Team und Ben und Undine schafften es später auch. Aber es war eine falsche Entscheidung, die uns unnötig in Gefahr gebracht hat. Aus meiner persönlichen Warte hätte ich einige Dinge anders machen sollen: Mir mehr Zeit für die Wegentscheidung nehmen, selbst die Karte lesen (wobei das in diesem speziellen Fall wenig gebracht hätte), nicht aus Anstrengung und Erschöpfung heraus entscheiden und auf mein Bauchgefühl hören. Als letzter Tribut an die Scharte hier nun eine Liste mit Dingen, die ihr zum Opfer fielen:
- Regenhose (Clarissa)
- eine Naht an Wanderhose (Undine)
- diverse Schäden an allen Rucksäcken & Wanderstöcken (alle; zum Glück war alles danach noch zu gebrauchen)
- Beulen an Flachmann und Handy (Clarissa)
- brauner Hosenboden (Ben & Guido)
- verbeulte Trinkflaschen (Undine & Ben)
- diverse Kratzer und blaue Flecken (alle)
- seelische Schäden (alle)
Meine Regenhose, Post-Scharte
Nachdem wir die Scharte überwunden hatten, zogen Wolken auf und wir stiegen ab, wobei es ab und zu ein bisschen regnete. Insgesamt war der Abstieg eigentlich ganz schön, auf kleinen Wegen hinunter ins Tal. Ich musste allerdings noch ein bisschen Trauerarbeit leisten und ein Stück alleine gehen und mir Gedanken über die Scharte machen. Irgendwann stolperte ich und fiel hin und beschloss etwas genervt, das ganze hinter mir zu lassen. Klappte ganz gut.
Ein kurzer Blick auf den Feuersteinferner
Kurz vor St. Anton besichtigten Guido und ich noch einen Wasserfall (wenig spektakulär) und dann gab es endlich mal wieder einen Apfelstrudel. Nicht der beste Apfelstrudel aller Zeiten, aber immerhin. Ich hatte den großen Luxus, von den Wanderschuhen in leichte Sneaker wechseln zu können, die ich als Hüttenschuhe dabei hatte. Das war dann erstmal super, wir liefen den Talweg entlang Richtung Sterzing. Bis Gossensasss war es sehr schön, wir sahen Bienen und Fohlen und Frösche. Danach war die Wegführung etwas seltsam, wir mussten viel an der Straße entlang gehen (kurz auch mal schön an der Brenner-Autobahn), bis wir endlich endlich in Sterzing am Kolpinghaus ankamen. Nun gab es Pizza. Ich vermute sie war gut, aber da ich sie wie ein hungriger Wolf verschlungen habe, kann ich nicht viel dazu sagen. Tiramisu zum Nachtisch, Taxi* ins Hotel, eine lange heiße Dusche und dann knipsten wir das Licht aus. Zum ersten Mal in Italien, das fing nämlich irgendwo in der Scharte an.
Und das sagen die Mitwanderer:
Undine: „Es war nicht alles schlecht.“
Ben: „Punkte sind nicht immer gut.“
Guido: „Bisher aufregendster Tag der Tour.“
*Als kleine Anekdote am Rande sei noch erwähnt, dass der Taxifahrer uns eine vom Tourimusverband gesponserte Fahrt hinauf zum Penser Joch (unserem nächsten Tagesziel) für schlappe 3 Euro anbot. Ben war zumindest kurzzeitig in dem Glauben, ich würde dieses Angebot annehmen.
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